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Tod auf der Donau

Roman

Erschienen am 13.08.2019, Auflage: 6/2019
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608504491
Sprache: Deutsch
Umfang: 272 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 21.5 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Autorenportrait

Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt in Bratislava. Auf Deutsch erschienen bereits drei seiner Romane und eine Novelle. Hvorecky verfasst regelmäßig Beiträge für die FAZ, Die Zeit und zahlreiche Zeitschriften. In seiner Heimat engagiert er sich für den Schutz der Pressefreiheit und gegen antidemokratische Entwicklungen.

Leseprobe

PROLOG Martin Roy mühte sich im dichten Rauch vorwärts, der von mehreren Nebelmaschinen im Gang verteilt wurde. Er trug einen silbernen Feuerschutzanzug und auf dem Kopf einen gelben Helm. Er sah keinen Schritt weit. Der Mund schien wie verschnürt. Voller Ungeduld und ganz im Sinne der Regeln kniete er nieder, tastete sich mit den Händen vorwärts und robbte sogar ein Stück weit. Diese neue Lage war zwar unbequem, allerdings auch sicherer. Auf Bodenhöhe gab es noch etwas Sauerstoff. Die Klimaanlage rauchte, was das Zeug hielt, und in der Hitze klebte ihm die Kleidung im Nacken. Aus den Boxen drangen Warnsignale und menschliche Stimmen. Das Stroboskop simulierte eine Feuersbrunst. Der enge Raum wirkte noch kleiner, klaustrophobisch geradezu. Martin versuchte sich daran zu erinnern, wo sich die nächste Tür befand. Das Schiff schien nun viel größer zu sein, als er es in Erinnerung hatte. Der Gang nahm kein Ende. Er hatte Angst, er würde es nicht schaffen. In diesem unmöglichen Aufzug schwitze er wie ein Schwein. Er hatte längst zehn Kajüten passiert, eine ganze Menge Zeit verloren und die betreffende Person noch immer nicht entdeckt. Links, rechts, links, er legte alle Energie in die Bewegungen, und seine Lunge drohte dabei zu bersten. Die Haut brannte, er war verwirrt, nervös, und in seinem Kopf drehte sich alles. In seinem schmerzenden Fuß verspürte er einen Krampf, Schauer liefen seinen Rücken entlang. Er musste ständig daran denken, dass eine unerbittliche Schiedsrichterin mit einer Stoppuhr an der Rezeption saß. Die Amerikaner werteten ständig die Reaktionen von alten und neuen Angestellten aus. Irgendwo hinter ihm stand einer der Laufburschen, jede seiner Bewegungen versuchte er mit der Kamera einzufangen und übertrug bestimmt alles live nach Chicago. All seine Bemühungen schienen erfolglos - für diese Arbeit war er einfach nicht geeignet! Er kam sich unbeholfen vor, eine typische Landratte eben. Martin durchlebte seinen ersten 'fire drill' in Lobith, inmitten der holländischen Docks: eine Übung, um die Reaktionen bei Schiffskatastrophen zu trainieren, bei Feuer, Wassereinbruch und Piratenangriff. Eine komplette Feuer- und Sicherheitsschulung sowie der Umgang mit Terrorangriffen, dies wurde nicht nur in der Nähe der somalischen Küste oder in ostasiatischen Gewässern eingefordert, nein, es galt in der gesamten Europäischen Union. Eine Gruppe Angestellter trainierte soeben gemeinsam die Verhaltensregeln für ein großflächiges Feuer. Das GPS hatte schon vor einer halben Stunde ein Warnsignal abgesetzt, das automatisch die Position des Schiffes übermittelte und Hilfe herbeirief. Die gespielte Rettungsaktion lief auf Hochtouren. Wertvolle Sekunden verstrichen, und Martin stand unter Zeitdruck. Die meisten seiner Schritte erfolgten gemäß dem Plan. Doch irgendwo steckte noch eine Person, ohne die man die Evakuierung nicht abschließen konnte. Die Verantwortung oblag ihm. Es stand zu befürchten, dass sich, sofern er die Übung nicht in den nächsten beiden Minuten abschließen konnte, der gesamte Raum hermetisch verschließen und kein Hahn mehr nach ihm krähen würde. Er würde nicht mehr nach draußen gelangen können und auch kein anderer, der hier mit ihm - und ohne es verschuldet zu haben - hinter der Barriere zurückbleiben müsste. Schnell aufzugeben würde allemal Schande bedeuten. Es hatte ihn beträchtliche Mühen und Geld gekostet, bis zu dieser abschließenden Prüfung zu gelangen. Und eigentlich hatte er gar keine Lust, jetzt schon abzureisen - in diesem Fall würde man ihm nicht einmal Flugticket und Spesen erstatten. Er wollte um jeden Preis das Ziel erreichen. Er tastete sich mit den Fingern die Tapeten entlang, fand einen Metallrahmen und eine Klinke. Er drückte sie und stolperte in die Kajüte. Mit Hilfe der Taschenlampe konnte er in der Dunkelheit einige Gegenstände ausmachen. Der winzige Raum hatte eine weiß gestrichene Decke, und an der Wand befand sich ein Klappbett. Er richtete sich auf und eilte zum Bett, enttäuscht musste er feststellen, dass es leer war. Eigentlich legte man die Puppen und Büsten sonst hier ab. Er musste husten, all der beißende Rauch, der bis zum Boden reichte. Auf einem Tischchen befanden sich eine Tastatur und darüber ein Monitor. Eine winzige Tür führte ins Bad. Er öffnete diese, und auf einer Miniaturanrichte unter dem Spiegel erkannte er eine Seife, Duschgel und ein verpacktes Shampoo. Keiner da. Er schob den Duschvorhang zur Seite. Ein entscheidender Moment. Endlich! Martin leuchtete tatsächlich einem jungen Mädchen direkt ins Gesicht - eigentlich sollte sie eine Ohnmacht vortäuschen, doch stattdessen grinste sie breit. 'Autsch, schalt das ab, du machst mich ja blind!', rief sie. 'Bist du o.k.? Kannst du atmen? Ich nehm dich auf meine Schultern und dann los. Ich muss dich evakuieren! Brauchst du Erste Hilfe?', sprach Martin die eingeübten Sätze. Er erinnerte sich an einige Fakten, die sie ihm in den letzten sieben Tagen eingetrichtert hatten. Von morgens bis abends lief er die drei Decks auf und ab, er hörte zu, er antwortete, keinen Moment lang konnte er ausruhen. Er übte, blitzschnell die Rettungsweste anzuziehen, die Signalpistole zu bedienen, mit dem Rettungsboot herumzupaddeln und um jede Sekunde zu kämpfen. Sie trichterten ihm die Firmenphilosophie ein: Verlier niemals die Selbstbeherrschung. Höflich bleiben unter allen Umständen. Ein Problem ist eine Herausforderung. Das Leben ist ein Schiff und eine Karriere das Ziel. Die ADC ist unser ABC. Die anderen Anwärter blickten so aufmerksam drein, als ob sie vorhätten, jedes Wort auswendig zu lernen. Er musste so lange vor einem Spiegel sein 'kommerzielles Lächeln' üben, bis ihm das ganze Gesicht wehtat. Zwei Vormittage lang wurde er sogar im Selbstverteidigungstraining auseinander genommen, mit der 'Krav Maga'-Kampftechnik sollte er künftig für alle Krisensituationen gewappnet sein. Beim Firmenseminar konnte er sich der Macht der Gruppe kaum entziehen, für Martin war es allerdings noch wesentlich anstrengender, dass ein jeder dieser Abende mit einem Besäufnis endete. Im Jahre 1991 war bei Hainburg ein Motorboot der österreichischen Zollbehörde mit einem russischen Schiff havariert - drei Tote. Im Jahre 1996 sank in der Nähe des Hochspannungswerks Freudenau der slowakische Schlepper Dumbier - acht der neun Besatzungsmitglieder starben. Im Sommer 2004 prallte ein deutsches Ausflugsschiff gegen den Pfeiler der Wiener Reichsbrücke, 19 Personen wurden dabei verletzt. Im Dezember 2005 sank nach einem Feuer in der Nähe der rumänischen Stadt Braile ein Schubschlepper. Alle elf Besatzungsmitglieder ertranken. Am 21. August 2009 brannte ein deutsches Schiff mit einhundertfünfzig Passagieren an Bord vollends nieder, zum Glück starb nur eine Person. Diese und weitere Katastrophen, die entlang der Donau passiert waren, musste er auswendig kennen, wo und wann und vor allem warum sie passiert waren und wie man sie künftig vermeiden könnte. Abschließend war Martin einer strengen Prüfung all dessen unterzogen worden. Bei der theoretischen Prüfung war er erfolgreich gewesen. Nunmehr musste er die praktische abschließen. 'Jetzt übertreib mal nicht! Wo warst du so lange? Mir war schon langweilig ', lachte das Mädchen. 'Was? Red nicht blöd rum und komm! Wir müssen uns beeilen', sagte er. 'Also bitte, ich mache das schon zum dritten Mal. Es reicht, das Ergebnis bekanntzugeben und fertig. Sie werben uns bei der Schauspielschule in Amsterdam an. Zahlen recht gut, nur schade, dass der Dollar so gesunken ist ', antwortete sie und schaltete ihr Funkgerät an: 'Er hat mich gefunden. Macht den Lärm aus. Ich bin schon völlig fertig davon, und dieser Gestank bringt mich noch um. Der Neue ist ziemlich geschickt. Ein bisschen gedauert hat es zwar, doch er hat auf jeden Fall Talent.' 'Das ist alles? Muss ich dich nicht tragen? Bist du sicher?', wollte Martin wissen. Er fühlte, das Ziel war zum Greifen nahe. 'Hey. Du kannst meine Hand nehmen, mich zum Bett führen und mir bissc... Leseprobe